Aufrecht geh’n

Ich sitze auf dem Stuhl bei meiner Coiffeuse. Im Radio läuft ein Lied: «Aufrecht geh’n! Aufrecht geh’n! Ich hab’ endlich gelernt, wenn ich fall, aufzusteh’n. Mit Stolz in meinen Augen und trotz Tränen im Gesicht: Aufrecht geh’n durch die Nacht ins Licht.» Da wurde jemand verlassen und sagt sich trotz Zerrissenheit, trotz Schmerz: «Aufrecht geh’n!»

Ein altes Lied. Es hat mir als Kind schon gefallen. Also muss es alt sein … Ich recherchiere. Mary Roos (kenne ich nicht, eine Schlagersängerin) hat es 1984 am Eurovision Song Contest für Deutschland gesungen. Im Youtube-Beitrag fällt mir auf: Sie singt dieses Lied streng, angestrengt. Kein Lachen. Wenig trotzige Kraft, die zum Text passt. Dann entdecke ich den Grund: Kurz vor ihrem Eurovision-Auftritt teilt ihr eine Freundin mit: Ich bin schwanger – von deinem Mann. Die Freundin verlangt Geld, sonst geht sie an die Presse. Mary Roos kann ihren Auftritt nicht absagen, muss auf die Bühne, muss singen. «Aufrecht geh’n!» Niemand von den Millionen am Bildschirm ahnt, wie es ihr geht. (https://www.youtube.com/watch?v=ag3TeXJOGF4)

Manchmal fallen wir direkt auf die Schnauze, wirkt alles rabenschwarz, kämpfen wir mit den Tränen.

Aber dieses Fallen, diese Nacht, diese Tränen haben nicht das letzte Wort. Wir können lernen, trotzdem aufrecht zu stehen. Mit verweinten Augen vielleicht. Vielleicht auch mit einem aufgesetzten Lachen und einem Stachel in der Seele. Doch gleichzeitig mit dem tiefen Vertrauen: Gott geht mit mir durch die Tränen, geht mit mir durch die Nacht, geht mit mir durch den Schmerz. Damit ich wieder aufstehen kann und – aufrecht geh’n.

Take good care!
Pfr. Harry Ratheiser

Zurück
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner