Kein heisses Eisen mehr

Am Sonntag stimmen wir über die „Ehe für alle“ ab. Soll ich mich dazu äussern? Oder schweigen, um niemanden zu vergrämen? Keine Frage: Klar sage ich meine Meinung. Gerade als Pfarrer. Gerade zu diesem Thema. Denn „Ehe für alle“ ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Es gibt für mich ganz einfach kein Argument gegen die Heirat von Homosexuellen.

Kritiker und Warner mögen die Bibel zitieren. An einer Stelle (Römer 1,26-27) warnt Paulus vor «schändlichen Leidenschaften», wenn Frauen mit Frauen und Männer mit Männern Sex haben. Daraus wird dann geschlossen, Homosexualität sei falsch, eine Sünde. Zu bedenken ist aber: In der Bibel finden sich auch Aussagen, die Sklaverei zu akzeptieren scheinen (Eph 6,5-6; Kol 3,22; 1Tim 6,1-2). Sollen wir nun die alten Geister der Sklaverei wieder heraufbeschwören? Natürlich nicht! Wie wir Sklaverei nicht mit ein paar Bibelstellen rechtfertigen können (was früher aber durchaus gemacht wurde), können wir auch Homosexualität nicht mit ein paar Bibelstellen verurteilen. Das wäre ein kruder Missbrauch der Bibel.

Teile der Kirche scheinen der Entwicklung immer hinterher zu hinken. Das war – leider oft mit der Bibel in der Hand – bei der Abschaffung der Sklaverei so, das war bei der Gleichstellung der Frau so (ist es zum Teil heute noch), das ist bei der Homosexualität so. Dabei hat uns doch die historisch-kritische Auslegung beigebracht, die Bibel im damaligen Kontext zu verstehen.

In einer früheren Abgeordnetenversammlung der EKS (Evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz, damals noch SEK) wurde sehr klar betont: «Wir sind von Gott gewollt, so wie wir geschaffen sind. Unsere sexuelle Orientierung können wir uns nicht aussuchen. Wir nehmen sie als Ausdruck geschöpflicher Fülle wahr.» Das heisst: Liebe ist ein geniales, wunderschönes Gottesgeschenk – heterosexuelle Liebe genauso wie homosexuelle Liebe.

Joachim Gauck, Pfarrer und ehemaliger deutscher Bundespräsident, sagt es treffend: Keine Toleranz für die Intoleranz! Wir könnten es auch mit der Bibel sagen: «Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt fest und lasst euch nicht von Neuem das Joch der Knechtschaft auferlegen!» (Gal 5,1)

Take good care!
Pfr. Harald Ratheiser

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