Unvollkommen ist vollkommen normal
Ein deutsches Sprichwort sagt: «Auch der beste Gaul stolpert einmal.» In der chinesischen Version: «Auch ein Affe fällt mal vom Baum.» Unvollkommen ist also vollkommen normal.
Ramin Nikzad, ein Wiener Arzt, schrieb in der Zeitschrift «Bref» kurze, witzige Kolumnen: «Ich bin, was meine Lebenserwartung betrifft, so halb vernünftig. Ich ernähre mich recht vernünftig und bewege mich, mein BMI liegt bei 26, also noch etwas zu hoch, aber halbwegs im Rahmen. … Aber … ich rauche viel zu viel. … Bislang habe ich es einfach nicht geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören. Zu schwach, zu dumm oder zu unfähig – ich weiss nicht, woran es liegt. Ich weiss nur: Für mich ist es furchtbar schwer und leidvoll, auf diese depperten Zigaretten zu verzichten. Und so habe ich vollstes Verständnis für Raucherinnen, Übergewichtige und Alkoholiker, denn die Sucht ist ein Luder und wir Menschen sind ziemlich fehlerhaft. Am Ende des Tages sind wir sehr fehlerhaft und unvollkommen und deppert. Ich bin das beste Beispiel dafür.» (Bref Nr. 1/2021, S. 25)
Arzt – Raucher – deppert – unvollkommen. Ein Gaul, der stolpert. Ein Affe, der vom Baum fällt.
Diese Unvollkommenheit zelebriert die japanische Kunst «Kintsugi». Was unvollkommen, kaputt, zerbrochen ist, wird nicht weggeworfen, sondern kunstvoll erneuert. Das Prinzip dahinter ist genauso genial wie schön: Der Makel wird nicht versteckt oder abgestritten, sondern verschönert. Die Scherben werden nicht zum Vorwurf, sondern zum ersten Schritt für etwas Neues, noch Schöneres.
Das berührt mich. Denn ich stelle mir vor: Genau so macht es Gott mit mir. Und mit dir.
Take good care!
Pfr. Harry Ratheiser