“Wo vielleicht das Leben wartet”

«Wo vielleicht das Leben wartet». Was für ein schöner Titel. In ihm steckt Hoffnung. Aber auch Melancholie. Nicht blinde Euphorie. Aber auch kein Düsterszenario.

«Wo vielleicht das Leben wartet» ist der Titel des Buches, das ich gerade lese. 1923 – nach dem Ersten Weltkrieg, nach Revolution und Bürgerkrieg wütet eine grausame Hungersnot im Wolgagebiet der damaligen, frisch gegründeten Sowjetunion. Am schlimmsten trifft es Kinder, deren Eltern bereits gestorben sind oder sie aus Hilflosigkeit alleingelassen haben. Sie essen Gras. Sie lutschen Steine, um das Hungergefühl zu bekämpfen. Sie leben nicht, sie vegetieren.

In diesem Elend bekommt Dejew, ein ehemaliger Soldat, den Befehl, 500 Kinder von Kasan in das ferne Samarkand zu bringen, um sie vor dem sicheren Hungertod zu retten. Dort soll es Brot geben. Dort wartet das Leben. Vielleicht. Sofern sie die wochenlange Zugfahrt überleben. Denn auf diesem Transport fehlt es an allem: an Essen, Kleidung, Medikamenten, sogar an Heizmaterial für die Lokomotive. Sie ist mit den Händen zu fassen, die Melancholie in diesem Buch. Aber auch die Hoffnung.

Der irische Schriftsteller Oscar Wilde soll mal gesagt haben: «Leben, das ist das Allerseltenste in der Welt – die meisten Menschen existieren nur.» Karfreitag und Ostern lassen uns ahnen, wo das Leben wartet. Der Melancholie von Karfreitag steht die Hoffnung von Ostern entgegen. Damit widerspricht zumindest einer Oscar Wilde vehement: «Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben – und zwar in Fülle.» Die Frage ist natürlich, ob wir diesem Versprechen von Jesus zu vertrauen wagen.

Take good care!
Pfr. Harry Ratheiser

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