Ferienzeit – schwierige Zeit
Sie sind nun also da, die Sommerferien. Jedermann und jedefrau freut sich darauf. Doch leider sind gerade Ferienzeiten nicht selten auch Zeiten für Beziehungsstress.Unsere Liebe wird auf die Probe gestellt. Ausgerechnet in den Ferien – da wollten wir doch einfach nur geniessen!
Aber so ist sie nun mal, die Liebe: Sie beschenkt uns – aber sie fordert uns auch heraus. Sie führt unsere nobelsten Seiten ans Licht – aber auch unsere dunkelsten.
Kalil Gibran, libanesisch-amerikanischer Maler, Philosoph und Dichter, hat das Wesen der Liebe im schmalen Büchlein “Der Prophet” meisterlich beschrieben. Vielleicht hilft uns sein Text, an der Liebe nicht zu verzweifeln, sondern auch ihre anspruchsvollen Seiten zu akzeptieren – insbesondere in den Ferien.
Da sagte Almitra: Sprich zu uns von der Liebe.
[Der Prophet] hob den Kopf und sah auf die Menschen, und es kam eine Stille über sie und mit lauter Stimme sagte er: Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil. Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin, auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann. Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie, auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann wie der Nordwind den Garten verwüstetet. Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich. So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich. So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern, steigt sie hinab zu deinen Wurzeln und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit.
Wie Korngarben sammelt sie dich um sich. Sie drischt dich, um dich nackt zu machen. Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien. Sie mahlt dich, bis du weiss bist. Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist. Und dann weiht sie dich ihrem heiligem Feuer, damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl. …
Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst, dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken und vom Dreschboden der Liebe zu gehen. [Zu gehen] In die Welt ohne Jahreszeiten, wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen, und weinen, aber nicht all deine Tränen. …
Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen. Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst, sollst du dir dies wünschen: Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein, der seine Melodie der Nacht singt. Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen. Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein, und willig und freudig zu bluten. Bei der Morgenröte mit beflügeltem Herzen zu erwachen und für einen weiteren Tag des Liebens Dank zu sagen. Zur Mittagszeit zu ruhen und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen. Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren und dann einzuschlafen mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen und einem Lobgesang auf den Lippen.
Take good care!
Pfr. Harald Ratheiser