Wo wohnt Gott?
Es ist ein kalter Januartag. In einem Pflegeheim besuche ich zusammen mit dem Ehemann seine Frau. Dort wohnt sie seit über einem Jahr, ist bettlägerig, kann sich nicht mehr bewegen, kann nicht mehr sprechen. Schon Jahre zuvor hatte sie wiederholt Hirnblutungen erlitten. Die Folgen waren Lähmungen, Hirnoperationen, Therapien, Spital- und Kuraufenthalte. Mehrere Male schon hing ihr Leben an einem seidenen Faden.
Weil ich wusste, dass das Ehepaar zusammen ein natürliches, unaufgeregtes Gottvertrauen gelebt hat, frage ich den Ehemann am Ende des Besuchs: «Sollen wir noch beten?» Er bejaht. Anstandshalber frage ich auch seine Frau; anstandshalber, weil ich ja weiss, dass sie nicht mehr reden und deshalb nicht antworten kann. Perplex schauen wir uns an, als die Frau im Bett laut und deutlich antwortet: «Ja!» Monate vorher und bis zu ihrem Tod 1½ Jahre danach hat sie nie mehr auch nur ein einziges Wort gesprochen.
Ich mag nicht interpretieren, was da genau geschehen ist. Es hat mich einfach berührt. Und ich erinnerte mich an eine Aussage von Dorothee Sölle: «Gott ereignet sich.» Wenn das stimmt, dann können wir vielleicht auch sagen: Gott wohnt dort, wo sich Gott ereignet.
Take good care!
Pfr. Harry Ratheiser